Traum44 – Auf dem Floß OG >Collage22
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Ich befinde mich in einem Wald. Ich weiß, dass es ein Wald ist, obwohl das schwer zu erkennen ist. Der Boden besteht nur aus schlammiger, schwarzer Erde, die Bäume sind schwarz und glänzen, weil Schleim an ihnen herunterläuft. Der Schleim sickert auch in die Erde. Ich bin barfuss und trage abgerissene Baumwollfetzen am Leib. Ich gehe in dem schleimigen Wald, nirgendwo ist Licht, es ist kein Ende in Sicht.
Plötzlich höre ich, dass sich um mich herum lauter Wesen bewegen. Es sind Ratten, die in Scharen um mich herum rennen. Jetzt fangen sie an, in meine Kleider zu kriechen, ich spüre ihre Krallen auf meiner Haut und die Schwänze, wie sie sich um meine Arme und Beine wickeln. Ich will schreien, aber ich habe keine Stimme. Ich fange nicht an zu rennen, weil ich weiß, die Ratten würden sich nur noch fester an mich krallen. Eine legt sich hinten um meinen Hals herum.
Ich spüre mein Herz in meiner Brust, es schlägt und ich merke, es beschließt, langsamer zu schlagen und mich sterben zu lassen. Als mein Herz nur noch ganz selten schlägt, ändert sich die Situation.
Mit einem Mal sitze ich auf einem Floß. Ich treibe in einer grauen Masse. Um mich herum ist Nebel, ich sehe keinen Meter weit, das Floß ist auch grau, das Wasser ist grau, alles ist grau. Nur mein Pullover nicht. Ich trage einen roten Pullover aus warmer Wolle. Er ist einfach herrlich.
Da kommen Haie, sie fangen an, an meinem Floß zu knabbern, gleichmäßig, von allen Seiten und ich weiß, wenn sie zu Ende geknabbert haben, dann falle ich ins Wasser und werde von ihnen gefressen. Ich muss sie irgendwie ablenken, indem ich ihnen etwas Schönes zeige.
Ich gehe an den Rand des Floßes, es neigt sich gefährlich, ich bücke mich und pflücke mitten auf dem Meer eine Blume. Ich weiß, dass das geht, und es geht auch. Als ich die Blume sehe, packt mich das blanke Entsetzen. Es ist eine Rose, doch sie hat schwarze Blütenblätter und aus ihrer Blüte schlagen blaue Flammen. Ich werfe sie weg, die Haie haben zu Ende geknabbert, ich versinke zusammen mit dem letzten Krümel Holz. Vor mir ist ein riesiger Hai im Wasser, er reißt sein Maul auf. Doch statt der Zähne hat er lauter Eichen im Mund. Wunderschöne Bäume mit vielen grünen Blättern. Ich werde zwischen die Bäume getrieben und verschluckt.
Plötzlich sitze ich auf einer Wolke im All, in der Ferne sehe ich die blaue Erde treiben. Neben mir auf der Wolke wächst ein lila Stiefmütterchen. "Sind wir nicht wundervoll weit weg von dem allgemeinen Wahnsinn?", frage ich das Stiefmütterchen. "Ist das erstrebenswert?", fragt das Stiefmütterchen zurück. "Ich würde gerne weg von der Wolke. An einen Ort, wo ich sein kann.", sage ich in die Luft voller Galaxenstaub hinein. "Nichts leichter als das!", sagt das Stiefmütterchen und schwebt vor mir, verwandelt in einen Pegasus. Ich steige vertrauensvoll auf, da wird es wieder zum Stiefmütterchen. Gemeinsam fallen wir durch das All.
Wir hören niemals auf zu fallen, und die blaue Erde zischt vor meinen Augen vorbei.
2008 (weiblich, 20 Jahre)

Assoziationen von Ortrud Grön:

Da der Traum so vielschichtig ist, habe ich ihn in mehrere Abschnitte unterteilt.

1. Schlammiger Wald: Die Träumerin befindet sich auf Boden, der von ungeklärten Gefühlen verschlammt ist. Sie ist noch nicht in der Lage, Licht in ihre Lebensgestaltung zu bringen, denn die Blätter der Bäume sind schwarz (in schwarzen Blättern ist keine Fotosynthese möglich, d.h. es wird kein Sonnenlicht eingefangen – das können nur die grünen Blätter).
Der Schleim der Bäume betont noch einmal eindringlich, dass die Träumerin nicht an der Gestaltung ihres Lebens arbeitet, denn der Schleim der Bäume enthält keinen Stickstoff, der für den Aufbau der Gestalt notwendig wäre. Auch dass die Träumerin barfüßig geht und keine richtige Kleidung trägt, beschreibt den Mangel, der sie schutzlos macht.

2. Ratten: Diese Tiere leben im Untergrund, sind aggressive Allesfresser, bauen sich unterirdische Fluchtröhren und entwickeln eine triebgesteuerte, ungewöhnliche Lebensenergie im Verborgenen. Es entsteht die Frage, ob die Träumerin zurzeit in einem Milieu leben muss, in dem solch eine Lebensenergie herrscht? Oder bedroht sich die Träumerin in solch aggressiver Weise selbst, weil sie sich in ihrem Selbstwert nicht wahrnimmt?
3. Der stumme Schrei: Sie will ihre Not hinausschreien, aber vermag es nicht. Vielleicht weil sie sich von einem aggressiven Milieu eingekreist fühlt? Oder sich selbst so angreift?

4. Sich verlangsamender Herzschlag: Durch ihre Not bahnt sich Todessehnsucht in ihr an. Ihr Herz verliert die Kraft zu leben. Doch in dieser Situation ändert sich ihr Sinn noch einmal.

5. Das Floß im Nebel: Denn durch den plötzlichen Wunsch, doch noch Leben zu wollen, erwirbt sie sich ein kleines Floß, das sie trägt, auch wenn alles um sie herum nur grau erscheint. Und in diesem Augenblick geschieht etwas: Ein herrliches Lebensgefühl aus der Kindheit meldet sich wieder: Die Wärme aus der Freude am Leben (der rote Pullover erinnert die Träumerin an ihre Kindheit). Doch dieser Zustand dauert leider nur kurze Zeit, dann knabbern schon wieder die aggressiven Bedürfnisse (Haie) an ihrem Lebenswillen (Floß) .
Blume aus dem Meer: Zur Abwehr von diesen aggressiven Gefühlen wendet sie sich noch einmal suchend dem Wunsch zu, ihr Leben wieder zu lieben (Rose). Sie pflückt die Rose auch, aber die Rose ist schwarz, weil sie nicht weiß, was die Liebe zu sich selbst von ihr verlangt. Denn es genügt nicht nur das Verlangen, sich zu befreien (Farbe blau), sondern braucht auch die Bereitschaft, sich dafür zu wandeln (Flamme). Das kann sie aber noch nicht sehen und lässt darum enttäuscht den Wunsch nach Liebe zum Leben wieder fallen (weggeworfene Blume).
Und so versinkt sie wieder im Meer ihrer unbewussten Gefühle, so dass ihr Floß – der Wunsch lebendiger leben zu wollen – aus Enttäuschung wieder von ihren aggressiven Regungen vertilgt wird.
Eichenbaume als Zähne: Anstatt sich zu verändern, lässt sie sich nun von der Vorstellung verführen, Aggressionen könnten doch die größte Kraft im Leben sein, um die Nahrung des Lebens verdaulich zu machen (wunderschöne Bäume mit vielen grünen Blättern im Haimaul). Die Lebenskraft der Bäume entsteht durch die Nahrung aus Wasser, Luft, Erde und Sonnenlicht.
Das verlangt im Gleichnisdenken von der Träumerin, sich mit ihren Gefühlen (Wasser) und Gedanken (Luft) auf den Weg zu machen, um eine Neugestaltung für ihr Leben zu finden (Erde). Das schafft sie nur, wenn sie nach Licht und Wärme in sich sucht (Sonne), anstatt in die Aggression zu gehen.

6. Blaue Erde: Doch statt das zu tun, entfernt sie sich aus der Realität (entschwebt ins All) und versucht sich einzureden, dass es besser ist, dem ganzen Wahnsinn des Lebens zu entfliehen, um Frieden zu finden.
Ihre stiefmütterlichen Gefühle für sich selbst aber warnen sie mit der Frage: "Ist das wirklich erstrebenswert?" Durch das Nachdenken spürt sie, dass sie einen Ort sucht, wo sie SEIN kann und stellt sich das plötzlich ganz leicht vor.
Doch dieser Ansatz, ihr Leben zu vitalisieren (Pegasus) hat nicht genug Kraft, ihr Wunsch sinkt wieder in sich zusammen.

7. Fallen: Auf diese Weise findet sie nicht in die Realität zurück und fällt in die Leere.

Liebe Träumerin, Sie gewinnen sicher sehr viel Kraft, wenn Sie immer dann, wenn Sie Aggressionen spüren, versuchen, ihre Bedürfnisse und Wünsche dem anderen klar, aber ohne ihn anzugreifen, sagen. Aber wahrscheinlich greifen Sie sich selbst an, sobald Sie sich nach einem reicheren Leben sehnen? Wenn Sie statt dessen die große Kraft der Aggression in kreative Kräfte verwandeln, d. h. sich auf den Weg machen, das zu finden, was sich Ihr Herz wünscht - dann können Sie zufrieden werden. Denn Sie verfügen, wie der Traum zeigt, über sehr viel Lebensenergie!

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